Liebes Publikum,
der große französische Film- und Theaterschauspieler Jean-Louis Trintignant eröffnet SETT 2012 im Alten Schauspielhaus mit einem lyrisch/musikalischen Abend unter dem Titel „Drei freiheitsliebende Dichter des XX. Jahrhunderts – Boris Vian, Jacques Prévert, Robert Desnos”.
Trintignant weist den inhaltlichen Weg, den das Festival nehmen wird:
Die Mutter macht Strickarbeit
Der Sohn macht Krieg
Sie findet das ganz in Ordnung die Mutter
Und der Vater was macht der Vater?
Er macht Geschäfte …
(Auszug aus Jacques Préverts Gedicht „Familienbild”, erschienen 1946)
Zwar schweigen seit 1945 in Europa im Großen und Ganzen die Waffen, von der Gewaltexplosion im Raum des ehemaligen Jugoslawien einmal abgesehen, doch die inter- und innerstaatlichen Auseinandersetzungen verschärfen sich zusehends. Die Märkte bestimmen das Handeln der politischen Akteure und die Waffen von heute sind Staatsanleihen, Ratings, Zinsen und Kürzungsforderungen. Das Gespenst der „marktkonformen Demokratie” schwebt drohend über der europäischen Einheit in Vielfalt.
Man möchte Clausewitz wie folgt modernisieren: „Die Ökonomie ist die Fortsetzung der Politik mit kalten Mitteln.” Wo geht die Reise für uns Europäer hin? Wir geben dem 11ten Stuttgarter Europa Theater Treffen den Titel „Quo vadis, Europa?”.
Theaterschaffende aus Europa und Afrika geben Einblicke in die Wirklichkeit jenseits hohler politischer Phrasen, Einheitsfloskeln und medialer Propagandapamphlete. Mit aller Macht sperren sie sich gegen einfache Wahrheiten und, mitunter, gegen die Bedrohung der eigenen Existenz. Das tun sie mit Witz, Sarkasmus, Poesie und analytischer Schärfe auf höchstem künstlerischen Niveau. Sie regen zum Nachdenken an über die uralte Frage der Aufklärung, ob wir wirklich in der besten aller möglichen Welten leben. Und sie nehmen Partei für die 90% europäischer Bürger, die sich keine rettungsgeschirmten Investments leisten können.
Das Nationaltheater Griechenland aus Athen zeigt an einem Abend zwei Einakter, entstanden für das internationale Theaterprojekt „Ausländer”, und stellt mit Sarkasmus das Leben von Menschen dar, die sozial und wirtschaftlich noch tiefer angekommen sind als die Griechen selbst.
Ein interdisziplinäres Theaterwunder ist „The Blue Boy” des irischen Ensembles Brokentalkers, das ein Nationaltrauma mit ungeheurer Kraft auf der Bühne bearbeitet.
Das Budapester Katona József Theater steht für Theaterkunst auf höchstem Niveau, dessen Festivalbeitrag „Unsere Klasse” des polnischen Autors Tadeusz Słobodzianek erhielt jüngst den ungarischen Kritikerpreis für die beste Inszenierung. Das in Polen mit dem „Nike 2010” preisgekrönte Stück untersucht akribisch an Hand der Lebensgeschichten von Schülerinnen und Schülern, wie stark politischer und gesellschaftlicher Druck die Beziehungen dominiert.
Aktuelle Ereignisse mit einem künstlerisch/ästhetischen Mehrwert auf die Bühne zu bringen, ist kein leichtes Unterfangen. Dem Teatro delle Albe aus Ravenna ist es mit einer hervorragenden Inszenierung gelungen: Der überirdisch schöne Gesang zweier Musiker, die fast mythologische Figur eines modernen Charon und eine imaginäre Insel, die das vermeintliche Paradies für die Flüchtlinge dieser Welt ist, verschmelzen in „Geräusche im Wasser” zu einem fantastischen Theaterabend.
Aus Berlin kommen gleich zwei Theater(truppen): Das seit Monaten gegen seine Schließung kämpfende Theater unterm Dach bringt Heinrich Manns „Der Untertan” in einer Adaption für einen (hervorragenden) Schauspieler mit. Sie werden sehen: Die Schließung des „Theater unterm Dach” wäre ein herber Verlust für die Berliner Theaterszene.
lausundproductions (in Koproduktion mit dem Theater Duisburg) zeigt Ingrid Lausunds ungeheuer komödiantische Farce „Tür auf Tür zu – So gesehn ist drinnen draussen” und demonstriert damit, wie schnell heutzutage Arbeitnehmer vor verschlossener Tür im Regen stehen.
Der schwedische Bestsellerautor Henning Mankell hat für das mosambikanische Teatro Avenida in Maputo ein neues Stück geschrieben und es auch dort inszeniert: Lucrécia Paco spielt darin eine Ehefrau, die sich gegen die Drangsalierungen ihres Mannes nicht anders zu helfen weiß, als durch den massiven Einsatz eines Küchenmessers. Der vermeintliche Kriminalplot enthüllt die schwierigen familiären Verhältnisse, in denen Frauen im Mosambik von heute leben.
„Kostas kocht (vor Wut?)” ist die Festivalproduktion. Typische Stuttgarter (zum überwiegenden Teil mit „Migrationshintergund”) suchen, um mit Iphigenie zu sprechen, „das Land der Griechen mit ihrer Seele”. Darüber hinaus entwickeln sie eine erstaunlich wirkungsvolle Methode, um der Wiege der Demokratie wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen.
Beim Abschluss des Festivals wird „grenzenlose Musik” gespielt: Melodien, Rhythmen und Texte aus allen Teilen der Welt, ein Fest der vereinten Vielfalt.
Wie immer können Sie sich nach den Vorstellungen noch im Foyer mit den Künstlern unterhalten.
Wir wünschen Ihnen spannende und anregende Theaterabende!
Edith Koerber, Géza Révay