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Black Tie

von Helgard Haug und Daniel Wetzel

Rimini Protokoll, Berlin
Inszenierung: Helgard Haug und Daniel Wetzel
Recherche und Dramaturgie: Sebastian Brünger
Englische Übersetzung: Jenna Krumminga
Bühne und Licht: Marc Jungreithmeier
Musik: Peter Dick (Ludwig / The Noes have it)
Interaction Design: Grit Schuster
Mit: Miriam Yung Min Stein, Hye-Jin Choi und Ludwig
In deutscher Sprache
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten

Über „Rimini Protokoll”:

Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel arbeiten in unterschiedlichen Konstellationen unter dem Label Rimini Protokoll. Sie gelten als die „Protagonisten und Begründer eines neuen Reality Trends auf den Bühnen” (Theater der Zeit), der die junge Theaterszene geprägt hat. Die Arbeiten finden in der bunten Zone zwischen Realität und Fiktion statt und haben international Aufmerksamkeit erregt. Seit 2000 entwickeln sie auf der Bühne und im Stadtraum ihr Experten-Theater, das nicht Laien sondern Experten des Alltags ins Zentrum stellt.

Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Weiterentwicklung der Mittel des Theaters, ungewöhnliche Sichtweisen auf unsere Wirklichkeit zu ermöglichen. Den Proben zu den Stücken gehen umfangreiche Recherche- und Casting- und Konzeptionsprozesse voraus, die ca. 2/3 des Arbeitsprozesses ausmachen. Seit 2004 haben Rimini Protokoll im Hebbel am Ufer ein Büro und damit Berlin zur Ersten Adresse ihrer internationalen Theaterarbeit gemacht. Rimini Protokoll wurde für seine künstlerische Arbeit vielfach preisgekrönt.

Über „Black Tie”:

Für die Zeit vor dem ersten Dokument hat sie von der Adoptionsvermittlungsstelle nur die mythische Information: „Du wurdest in Südkorea 1977 in einer Schachtel gefunden, umhüllt von Zeitungspapier.” Für „Black Tie” spuckt Miriam Yung Min Stein in ein Röhrchen der Firma 23andMe, macht einen Backenabstrich mit dem „genom-collector” der Firma DeCODEme und wartet auf die Teilsequenzierungen ihres Genoms durch die beiden Marktführer. Einer der beiden empfängt sie auf der Webseite, die ihre genetischen Daten preisgeben, mit dem Slogan „welcome to you”. Der eigene „Bauplan”, eine Biografie? — Wie erzählt man die eigene Geschichte, wenn wie im Fall Steins ihre Aufzeichnung erst mit der Ankunft auf einem deutschen Flughafen beginnen kann?

Miriam Yung Min Stein: „Black Tie” kreist um das schwarze Loch der Herkunft, um die befremdlich-beredte Hilfsindustrie der jungen Humangenetik dieser Tage und das Befremden zwischen Umwelt und mir — in Osnabrück hineinzuwachsen in einen Körper, der koreanisch wirkt, der ein ganzes Land, einen Krieg, eine andere Kultur wie in einer verschlossenen Kapsel mit sich herumträgt, unbekannt, sprachlos — ein potentieller Ort, Fluchtpunkt, Traumfabrik. Adoption, anonyme Samenspende, Weihnachtspakete für Waisenkinder — kennen die guten Menschen die wachsenden schwarzen Löcher, die ihr guter Wille auch erzeugt? Was wäre, wenn jede internationale Hilfe gestoppt werden würde? Wie könnte den Helfern geholfen werden, die süchtig werden Gutes zu tun und dafür ihren gerechten Dank erwarten? Und was stand in der Zeitung, in die das Baby gewickelt war, 1977 in Südkorea?

 

… was Miriam Stein erzählt, ist kein Theaterstück, sondern ihr Leben: ‚Ich werde an diesem Abend 276 Mal ich sagen und nie genau wissen, wen ich meine.’ Wer nur eine Nummer und einen Allerweltsnamen mit auf den Weg bekommt und nicht einmal weiß, wer der Passant war, der den Säugling gefunden hat, der man einmal war, hat mit dem Herstellen einer wie auch immer brüchigen und in sich widersprüchlichen Identität einiges durchzuarbeiten. Die Namenswechsel von 77 2178 über Park Yung Min bis zu Miriam Stein sind bei dieser vertrackten Identitätskonstruktion noch das kleinste Problem. Der Länderwechsel ist schon komplizierter …
Ein Paradox dieses Theaterabends über etwas so Intimes wie die Brüche in einer Biographie ist, dass er eben ein Theaterabend, also etwas genuin Öffentliches ist. Die Fotos, die Miriam Yung Min Stein auf der Bühne von ihren deutschen Adoptiveltern zeigt, sind gleichzeitig denkbar privat und Teil einer größeren, also öffentlichen Geschichte. Umgekehrt könnte nichts persönlicher, intimer und verletzender sein als die trockenen Fakten, die sie über das koreanische Adoptions-Geschäft und seine Voraussetzungen referiert: Eine Gesellschaft, in der uneheliche Kinder als moralischer Skandal gelten, ein Land, das seine ausgesetzten Säuglinge in westliche Länder entsorgt, Hilfsorganisationen, die Europäern und US-Amerikanern Kleinkinder aus koreanischen Waisenhäusern besorgen und damit den Säuglings-Export organisieren. Praktisch für Südkorea, schön für die Adoptiveltern.
Miriam Stein breitet die Fakten nüchtern und gänzlich unlarmoyant aus. So trocken sie über das weltweite Adoptionsbusiness spricht, so deutlich wird seine Obszönität: „Angelina Jolie hat die Preise für afrikanische Babys versaut.” Dass man dabei als Zuschauer nicht zum Voyeur wird, liegt zum einen an der beeindruckenden Miriam Stein selbst, die extrem reflektiert, auch spöttisch und polemisch, aber frei von Selbstmitleid ihr eigenes Leben in einen größeren Kontext einschreibt. Scheinbare Selbstverständlichkeiten wie die, dass Adoptiveltern Dankbarkeit erwarten können, bricht sie mit Intelligenz, Wut und Genauigkeit auf. Und es liegt am Rahmen, den die Inszenierung setzt — zum Beispiel mit Auftritten eines Musikers und einer zweiten, in Berlin lebenden Koreanerin sowie mit einem Bühnenbild, das den von Craig Venter entschlüsselten Gen-Code zeigt.
Das Rimini-Stück ist bei aller dokumentarischen Klarheit alles andere als eine klebrige öffentliche Selbstanalyse, sondern eine durchkomponierte Performance, in der es auf vielen Ebenen darum geht, was das eigentlich ist: Identität.
(Peter Laudenbach | Süddeutsche Zeitung)

 

Eine Produktion von Rimini Apparat in Koproduktion mit Hebbel am Ufer Berlin und Theaterhaus Gessnerallee Zürich, in Kooperation mit den Wiener Festwochen. Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin — Senatskanzlei — Kulturelle Angelegenheiten.

Aufführungsrechte: schaefersphilippen Theater und Medien GbR

23 Nov | Dienstag | 20:00 Uhr | Ort: Theater tri-bühne
24 Nov | Mittwoch | 20:00 Uhr | Ort: Theater tri-bühne

Preise: 22,– EUR normal / 12,– EUR ermäßigt.

Ermäßigungsberechtigt: Schüler, Azubis, Studenten, Wehr- und Zivildienstleistende, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Schwerbehinderte.

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