„Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich das Geld liebe!”
Wer hat diese geflügelten Worte gesprochen? War es die Gutsbesitzerin Gurmischskaja, die der Armut entgegenschlittert und deshalb immer mehr Wald verkaufen muss - eine Bühnenfigur Alexander Ostrowskijs? Ja, sie war es. Aber es hätte auch jemand neulich in der Straßenbahn sagen können. Oder auf den Rängen eines Fußballstadions oder in der Schlange vor dem Schalter einer Arbeitsagentur oder… Jedermann.
Gut, lassen wir die Liebe außen vor. Schließlich liebt man seinen Mitmenschen und nicht das Geld. Es gehört sich zumindest. Wandeln wir die Frage in eine Preisfrage um: Können Sie sich einen noch so geschützten und versteckten Bereich der menschlichen Existenz vorstellen, der vom Geld unbeeinflusst ist?
Da ist die folgende These nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen:
Vom Zeitpunkt der Vereinigung der weiblichen und männlichen Zelle, in einer Retorte oder im Mutterleib, bis zum finalen Atemzug: Durch sein Vorhandensein oder Nichtvorhandensein spielt das Geld eine determinierende Rolle. Ähnlich wie die Atemluft. Das Geld durchdringt die Welt, indem es alles, sogar seinen Erfinder selbst, den Menschen, zur Ware macht.
„Die Universalität seiner Eigenschaft ist die Allmacht seines Wesens. Das Geld gilt daher als allmächtiges Wesen”, sagte einmal ein Philosoph. Er hieß Marx. Und Goethe ließ Mephisto sagen: „Was Henker! Freilich Hand’ und Füße / Und Kopf und Hintre, die sind dein! / Doch alles, was ich frisch genieße, / Ist das drum weniger mein? / Wenn ich sechs Hengste zahlen kann / Sind ihre Kräfte nicht die meine? / Ich renne zu und bin ein rechter Mann / Als hätt’ ich vierundzwanzig Beine.”
So groß die Kraft des Geldes, so groß ist meine Kraft, will Mephisto sagen. Man könnte noch hinzufügen: Ich bin geistlos, aber das Geld ist der wirkliche Geist aller Dinge, wie sollte dann sein Besitzer geistlos sein? Zudem kann er sich geistreiche Leute kaufen, und wer die Macht über die Geistreichen hat, ist der nicht geistreicher als der Geistreiche? Ist das nicht eine Leistung? Da sprechen wir die höchste Anerkennung aus: Dieser Mensch ist sein Geld wert!
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Alle SETT-Beiträge beschäftigen sich damit, von diesem oder jenem Aspekt aus betrachtet.
Insbesondere die diesjährige Koproduktion „Kämpferische Träume” zwischen dem Teatro Avenida und dem Theater tri-bühne. Dabei geht es um ein Sozialexperiment in Namibia: In einem kleinen Dorf wird seit über zwei Jahren jedem Einwohner bedingungslos ein Grundeinkommen in gleicher Höhe ausbezahlt. Das bedeutet, dass die Chance besteht, den determinierenden Charakter des Geldes zu mildern und die Verhältnisse auf menschliche Maßstäbe zurückzuführen. Denn wenn der Mensch als Mensch betrachtet werden kann und nicht als Anhängsel eines Bankkontos, dann könnte es möglich sein, dass sein Verhältnis zur Umwelt menschlich wird. Dann wird die Liebe austauschbar nur gegen Liebe, Vertrauen begegnet nur dem Vertrauen und so weiter.
Es ist, wie gesagt, ein Experiment. Der praktische Beitrag des kleinen, bisher unbedeutenden Dorfes Otjivero in Afrika zu den großen Debatten über soziale Fragen in der globalisierten Welt. Wert genug, ihm ein Theaterstück zu widmen und dieses in den Mittelpunkt eines Festivals zu stellen, das den Titel trägt: „Symphonie des Geldes”.
Liebes Publikum, künstlerisch bemerkenswerte, inhaltlich anregende Theaterabende erwarten Sie beim SETT 2010. Wir wünschen Ihnen viel Gewinn dabei!
Edith Koerber und Géza Révay, künstlerische Leiter des Festivals